KUNSTGESPRAECH

TEXTE: REZENSIONEN

Gruppenstruktur

TEXT TEXTILE TEXTURE, 10.03. – 18.04.2012, Galerie Barbara Weiss, Berlin

mit Monika Baer, Thomas Bayrle, Geta Brătescu, Ayșe Erkmen, Friederike Feldmann, Christine & Irene Hohenbüchler, Jonathan Horowitz, Jim Isermann, Jennifer Jordan, Ivan Morley, Rebecca Morris, Susanne Paesler, Mai-Thu Perret, Rosemarie Trockel und Suse Weber

Blick in die Ausstellung mit Arbeiten von Christine & Irene Hohenbüchler, Thomas Bayrle, Ayșe Erkmen (Foto: Kirsten Kötter)

Blick in die Ausstellung mit Arbeiten von Christine & Irene Hohenbüchler, Thomas Bayrle, Ayșe Erkmen (Foto: Kirsten Kötter)

"Text Textile Texture" – mit diesem Titel und der Künstlerauswahl eröffnet die Galerie Barbara Weiss, Berlin, einen weiten Assoziationsraum. Der neuerwachte künstlerische Seitenblick auf politische Prozesse, das zarte Revival der 1970er Jahre in Kunstausstellungen, die immerwährende Suche nach unverbrauchten Materialien für Kunstwerke: Die Gründe für die Verwendung von textilen Materialien im aktuellen Kunstkontext sind vielfältig. Stoff ist ein weiches, warmes, passives Material und deshalb bestens geeignet, soziale, organische Prozesse zu symbolisieren (oder gar zu befördern, wie bei den "Werksätzen" von Franz Erhard Walther). Texture oder Struktur, ein weiterer Bestandteil des Titels, ist ein wichtiger Begriff der Soziologie und damit natürlich auch der 1970er Jahre. Die Gemeinsamkeit des Webens und Strukturierens von Text und Stoff ist offenkundig. Nun handelt es sich um eine Gruppenausstellung, auch diese ein Gewebe mehrerer Künstlerpositionen. Keine der folgenden Aussagen trifft jeweils auf alle Arbeiten zu. Doch bilden sich Schwerpunkte.

Gemeinsam ist den meisten der Arbeiten das Material Stoff. Gemeinsam ist den meisten Künstlerpositionen das Interesse an sozialen Prozessen, die durch Kunstwerke vermittelt oder befördert werden. Dabei sind die versammelten Künstlerpersönlichkeiten unterschiedlich in Biografie, Arbeitsweise, Werk. Die in der Ausstellung versammelten Arbeiten verweisen wie die Spitze des Eisbergs jeweils auf ein eigenständiges Werk. Von Geta Brãtescu, 1926 geboren und damit die älteste Künstlerin in dieser Show, werden drei Arbeiten aus der Zeit um 1980 gezeigt. Ihr textiles Buch mit Jeansstoffseiten und reduzierten Nähten kommuniziert mit einer aktuellen abstrakten Textzeichnung von Friederike Feldmann an der Wand gegenüber. Geta Brãtescu unterwandert mit ihren Arbeiten an sich schon die Grenzen zwischen Kunst und Alltag. Für westliche Betrachter wird ihre Kunst sowieso zwangsläufig auf ihre Biografie im Rumänien Ceauşescus bezogen. Kunst und Leben sind verbunden. Die viel jüngere Friederike Feldmann sucht nach Zeichen auf der Grenze zwischen Malereimotiv und Alltagsblick. Neben Geta Brãtescus Collagen hängen zwei Arbeiten von Thomas Bayrle, eine Arbeit von 2011 und ein "Autobahnmäander" von 2001, ein häufig wiederkehrendes Motiv in seinem Werk. Die Gitterstruktur aus Papp-Autobahnen erinnert visuell mehr an einen Gebrauchsgegenstand als an Kunst, zum Beispiel eine Garderobe, durchaus kein despektierlicher Vergleich bei einem Künstler, dessen Werke soziologisches Denken in grafische Motive umsetzen. Thomas Bayrle hat sich in seiner 30jährigen Professorenzeit an der Städelschule (Staatliche Hochschule für Bildende Künste Frankfurt am Main) nicht zurück gezogen, sondern alle Studenten begleitet und unterstützt, nicht nur seine eigenen, und so viele künstlerische und zwischenmenschliche Prozesse mit gelebt. Eigentlich kann sein künstlerisches Werk nicht ohne diese lehrende Tätigkeit gesehen werden. Vor bzw. unter den Arbeiten von Thomas Bayrle liegt ein Teppich von Christine & Irene Hohenbüchler. Für das Zwillingspaar, auch sie sind bzw. waren als Hochschullehrerinnen tätig, sind die sozialen Prozesse, die sich in ihrer gemeinsamen künstlerischen Arbeit mit Randgruppen der Gesellschaft ergeben, wichtiger Bestandteil. In der Mitte des Raumes befinden sich zwei Arbeiten von Ayşe Erkmen. Auch Ayşe Erkmen unterrichtete als Professorin an der Städelschule. Typisch für ihr künstlerische Herangehensweise die Arbeiten hier: Die Pfeiler der Galerie sind mit Schriftbändern dank einer komplizierten Knotentechnik vom Boden bis zur Decke umwickelt. Auf dem einen Band wiederholt sich endlos ihr Name. Ayşe Erkmen weist mit ihren stark analytischen Arbeiten häufig auf wichtige Funktionen hin. Hier sind es die tragenden Pfeiler in der Mitte des Raumes, ohne die dieser zusammen stürzen würde. Andererseits bestehen ihre Arbeiten aus so wenig Materie wie möglich und verweigern sich einer Botschaft oder Erkenntnis. Sie führen den Betrachter auf sich selbst zurück. An den Wänden um Erkmens Pfeiler hängen Siebdrucke mit Mustermotiven von Rosemarie Trockel, von Stoffmustern inspirierte Malerei von Susanne Paesler und zwei textile raumgreifende Arbeiten von Jennifer Jordan. Noch andere künstlerische Arbeiten kommunizieren mit bei dieser soziologischen Schau, die nicht nur viele Künstler vereint, sondern auch Arbeiten zeigt, die über mehrere Jahrzehnte hin entstanden sind.

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