KUNSTGESPRAECH

TEXTE: REZENSIONEN

Arkadien

The Cannibal’s Muse II, 08.06. – 24.06.2011, Autocenter on location "Based in Berlin", Atelierhaus Monbijoupark, Berlin

mit Nader Ahriman, Michael Bauer, Lutz Braun, Katinka Bock, André Butzer, Dadarhea, Verena Dengler, Matthias Dornfeld, Mark Flood, Pink Floyd, Sebastian Hammwöhner, Kalin Lindena, Stefan Müller, Martin Neumaier, Janne Räisänen, Stefan Rinck, Ezra Pound – kuratiert von Max Henry

Sebastian Hammwöhner, Pastell on Paper (Foto: kk)Die Exponate in Max Henrys Schau zeigen alle möglichen Stile aus naher und ferner Vergangenheit, kunsthistorische Verweise, bedienen diesen und jenen persönlichen Geschmack. Sie sind Malerei, Skulptur, Installation, Video, sogar Literatur. Sie hängen oben und unten an den Wänden, stehen auf dem Boden. Sie umspannen zeitlich ein weites Spektrum. (Das Gedicht "Homage to Sextus Propertius I", 1919, von Ezra Pound erweitert das Spektrum deutlich.) Worum geht es Max Henry, der eine Aussage zur zeitgenössischen Kunst machen will? Nicht um Stil, Medium, Machart, Inhalt oder Präsentation. Gerade die Beliebigkeit dieser Parameter, die früher eine künstlerische Position abgrenzten, formt die künstlerische Haltung. Hinter der äußeren Form steht für Max Henry das "Eine", das er nur andeutet, auch mit Hilfe Ezra Pounds: "Et in arcadia ego"?

Max Henry spricht in seinem Text [1] von der "großen Idee", die er nicht genau bestimmt, nur durch das Gedicht Ezra Pounds, welches dem Ausstellungsblatt prominent beigelegt ist, als Rückbesinnung auf die Götter der Antike andeutet.

Wie arbeitet die zeitgenössische Kunst? Die Kunstgeschichte ist bekannt, steht zur Verfügung. Aus historischem Zusammenhang Gelöstes wird in einen neuen Kontext überführt. Ein Stöbern auf dem Dachboden der Kunstgeschichte nach vergessenen Funden. Hier kann die künstlerische Aussage nicht ernst gemeint sein. Hier ist das ästhetische Moment beliebig. Hier sind Aussage und Botschaft per se überholt. Hier wird klar: Die Form ist nur eine mögliche Form unter vielen anderen. Die Form ist nur eine Form. Die Form war an eine bestimmte Aussage gekoppelt, ist jetzt entkoppelt. Die frühere Aussage schwingt noch leise mit. Wie ein Nachbild legt sie sich über das heutige Bild.

Max Henry prononciert diese künstlerische Haltung durch seine kuratorische Arbeit des Auswählens und Präsentierens: Das Trompe d'oeil der künstlerischen Medien potenziert sich so zum Vexierspiel: Wir sehen Malerei, die vorgibt Textilkunst zu sein (Sebastian Hammwöhner) neben textilen Bildelementen (Verena Dengler). Die Wirklichkeit spiegelt sich unendlich wieder. Nimmt man statt einem Spiegel zwei, die sich gegenüber liegen, entsteht eine virtuelle Spiegelarchitektur. Unsere Welt ist komplex. Ein Ding wird im globalen Zeitalter des Internet gleichzeitig von vielen Blickwinkeln aus betrachtet, die es in seiner Wesensart verschieden beurteilen. Die Kunstwerke stellen dies nach. Sie vereinen verschiedene mögliche Existenzen gleichzeitig in sich.

Max Henry lässt den künstlerischen Arbeiten keinen eigenen Raum, in dem sie sich außerhalb seines kuratorischen Statements entfalten könnten. Er vereinnahmt die künstlerischen Positionen. Einzelne Themen sammeln sich an, neben dem oben angesprochenen "textilen" gibt es einen "naturkundlichen" Bereich (Katinka Bock) Diesen Themen gegenübergestellt ist eine Arbeit, die Marcel Duchamp zitiert (Sebastian Hammwöhner). Max Henry potenziert also die polyglotte Sprache der zeitgenössischen Kunst, die er beobachtet, welche kannibalistisch die kulturellen Zeichen vereinnahmt (vgl. Beiblatt zur Ausstellung), bewusst mit seiner Präsentation. Max Henrys Schau kann sich in den schwierigen Gegebenheiten von "Based in Berlin" bewähren: Allzu groß ist der Raum nicht, den er zur Verfügung hat. Und der muss eine große Besucherzahl bei der Eröffnung aushalten. Er muss unterhalten und dennoch eine philosophische Substanz vermitteln.

[1] Text:
"The Cannibal's Muse II von Max Henry
The second in a series devoted to the cannibalization of cultural signifiers, The Cannibal´s Muse II is a reflection of the polyglotism going on in contemporary art.
Craft, folk, outsider, non-western, decorative, applied art, pop, Dada, social media, and poetry, are devoured whole than synthesized.
An intertwining of traditions and integrity of materials encompass heterogeneity and vitality of expression. The strength of the artists lies in their formal clarity rather than naturalism. Many of the ideas of primitivism and modernity from a hundred years ago can also be found in this early 21st century. Within these parameters, the paintings, sculptures, drawings and musicvideos owe their frames of aesthetics references to a conjugation of histories.
Through art historical precedents and the artist's self-aware strategies, a formal trans-coding of each fragment occurs allowing for a mediation of images and contexts. Within this decentralized referential field, linear history is no longer the supreme measure to classify and rank signifier's.
One code to another code is a translation of one big idea. In its overtly ritualistic double consciousness (JUNG) a broken end sparkling fracture in the gaps of media are unified; their separate distinctions are now closer together. The artist, priest and artisan have become one, the master narrative is dead.
There may be poetic implications and an impulse to breathe truth into outmoded ideologies. Because the dead master narrative is overtly subversive it feeds itself the useful cognitive associations and discards the superfluous loose ends. Its mysterium is its own enthronement, not because of homogeneity but despite it.
It is not fractured but made whole by fractious calculation. There are no servant narratives so much as there is one big overarching idea. Since there is only one big idea art thus quantifies the value of that one big idea in immortal ways.
As the shifty old paradigm wobbles the archaic and antiquity come to the fore in much of contemporary art. A midst collectivity and destabilized cultural sign posts the artist´s iconoclastic individualism carves out a zone of stability within a thousand points of light.
Due to the virtual interface what used to be canonized is now cannibalized through an overlap of images. Still the muse must be conjured and reconnect us to the relicts of antiquity."

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